Asexuelle Menschen Keine Lust auf Sex? Mitnichten immer! Wie sieht das echte Leben jenseits von Vorurteilen aus?
Eine britische Studie zeigte 2025 auf, dass rund ein Drittel der Menschen der Auffassung sind, Asexualität könne man „heilen“. Auch innerhalb der queeren Community sind viele Vorurteile bis heute verbreitet. Warum? Und was lässt sich dagegen tun? SCHWULISSIMO fragte nach bei Clara Böhme vom Verein AktivistA.
In der Community wird Asexualität oftmals arg stiefmütterlich behandelt. Ärgert euch das?
Ja, klar ärgert einen das. Tatsächlich ärgert es mich oft sogar mehr, wenn mir Ignoranz gegenüber Asexualität bei queeren Menschen begegnet als bei Heteros. Das mögen auch ein bisschen unfaire Erwartungen sein, nur weil eine Person queer ist, ist sie nicht automatisch Aktivist*in oder kennt sich mit allen Facetten der Community aus, aber trotzdem trifft eine blöde Bemerkung da direkt mehr, weil wir eben auch Teil dieser Community sind. Ich erkläre es mir immer damit, dass zentraler Bestandteil des queeren Kampfes war und ist, dass Menschen den Sex haben können, den sie wollen, und wenn dann eine Gruppe kommt, für die Sex keine so wichtige Rolle spielt, wird das als Anfechtung empfunden.
Asexuelle Menschen haben keinerlei Interesse an Sexualität, so die gängige Denkweise. Tatsächlich gibt es innerhalb des asexuellen Spektrums verschiedene Orientierungen und ganz unterschiedliche Ausprägungen.
Genau, es gibt da eine große Spannweite. Wir verwenden bei AktivistA die Definition, dass Asexualität beziehungsweise das asexuelle Spektrum bedeutet, dass keine oder wenig sexuelle Anziehung verspürt wird und/oder kein oder wenig Verlangen nach sexueller Interaktion besteht. Zum einen muss man nicht zwingend sexuelle Anziehung empfinden, um sexuell aktiv zu sein, man denke an die zahllosen schwulen Männer, die Ehen mit Frauen eingegangen sind und Kinder gezeugt haben, weil die Gesellschaft das von ihnen erwartet hat. Und zum anderen umfasst das asexuelle Spektrum auch Menschen, die unter bestimmten Bedingungen sexuelle Anziehung erleben, zum Beispiel, wenn sie eine enge emotionale Beziehung zu ihrer Partnerperson aufgebaut haben oder bei denen diese Anziehung stark schwankt, selten oder nur unter bestimmten Bedingungen auftritt. Es gibt eine Vielzahl sogenannter Mikrolabels in der Aspec-Community. Auf jeden Fall kann ich sagen, dass Asexualität nicht bedeutet, dass eine Person noch nie Sex hatte oder nie Sex hat – wir sind keine naiven kleinen Kinder, die keine Ahnung von Sexualität haben.

Was sind die nervigsten Klischees, denen ihr begegnet?
Sehr weit vorn ist sowas wie „Das ist nur eine Phase, du findest schon noch den/die Richtige“. Aber auch so Sachen wie, man könne ja nicht ace sein, weil man Kinder wolle oder viel zu hübsch sei dafür. Mitleid, dass das ja bedeuten würde, dass man für immer allein bleiben würde, ausgehend von der Annahme, dass wir alle auch aromantisch seien und dass das gleichbedeutend mit einem Desinteresse an Beziehungen wäre. Während in der Realität sowohl asexuelle als auch aromantische Menschen, als auch Menschen, die beides sind, ein Interesse oder Bedürfnis nach engen Beziehungen haben können. Oder, ob man mal schlechte Erfahrungen gemacht oder Gewalt erlebt hat, und man deshalb jetzt keinen Sex mehr will.
Gerade dein erster Punkt, man habe noch nicht die richtige Person gefunden, würde laut der britischen Studie jeder Vierte auch so sehen. Ist das nervig?
Nervig ist noch freundlich formuliert. Das ist, wie wenn ich einem schwulen Mann bei seinem Coming-Out sage, er habe nur noch nicht die richtige Frau gefunden. Das ist zutiefst verletzend. Alle Menschen, die schon mal irgendwie ihre sexuelle Orientierung hinterfragt haben, kennen doch diese Geschichten und wissen, welche Reaktionen es geben kann. Da outet man sich doch normalerweise nicht, ohne dass man es sich vorher gut überlegt hat. Und selbst wenn ich irgendwann eine Person finde, bei der ich sexuelle Anziehung erlebe, dann heißt das nicht, dass ich mir alles vorher nur eingebildet habe, sondern dann kann ich immer noch asexuell sein, vielleicht bin ich dann demi oder grayace oder aceflux. Und selbst wenn ich das Label komplett ablege, war es wahrscheinlich eine relevante Erfahrung, die nicht mit Begriffen wie „Phase“ von anderen relativiert werden sollte.

Gerade in der sexpositiven Gay-Community ist Sexualität mitunter stark ausgeprägt und schnell gibt es die Annahme, Asexuelle erleben einen Mangel. Wie lässt sich hier vermitteln?
Also zuerst würde ich gerne über den Begriff „sexpositiv“ sprechen. Denn die Mehrheit der Aces würde sich durchaus auch als „sexpositiv“ bezeichnen, und zwar insofern, dass alle Menschen den Sex haben sollten, den sie wollen, solange alles einvernehmlich vonstattengeht. Dazu gehört dann aber auch die Akzeptanz, dass manche Menschen eben keinen Sex haben wollen, oder nicht so viel oder was auch immer. Nur, weil wir selbst vielleicht kein großes Bedürfnis nach Sex haben, würden wir anderen nicht den Spaß verderben wollen. Und dann würde ich darauf hinweisen, dass ihnen ja ohne Sex mit Frauen offenbar auch nichts fehlt. Und so, wie sie das nicht vermissen, vermissen wir halt in der Regel Sex ganz generell nicht, sondern drücken Intimität lieber auf andere Art aus. Es gibt so viele Möglichkeiten dazu, die nicht erfordern, dass man sich nackig macht. Es gibt gerade im Kink-Bereich durchaus auch Überschneidungen mit der Ace-Community.
Das Outing vor den Eltern ist bis heute vielerorts ein Problem. Ich kann mir vorstellen, ein Outing als asexuelle Person ist da noch einmal anders?
Der größte Unterschied ist wahrscheinlich, dass man häufig damit rechnen muss, dass das Gegenüber noch nicht besonders viel über Asexualität weiß, vielleicht sogar noch nie davon gehört hat. Egal, wie Menschen dazu stehen, fast alle haben schon mal von schwul, lesbisch, bi oder trans gehört. Und häufig kann man dann gerade innerhalb der Familie schon ein bisschen einschätzen, wie die Reaktion ausfallen könnte – was das Coming-Out nicht unbedingt weniger nervenaufreibend macht. Ich habe mich selbst vor ungefähr zehn Jahren bei meinen Eltern geoutet. Damals gab es noch kaum deutschsprachige Informationen zu dem Thema, das ist heute zum Glück anders. Wir haben als Verein inzwischen zu verschiedenen Aspekten Infomaterial erstellt. Es gibt mittlerweile auch Sachbücher, diverse Podcasts, Artikel oder Dokus. Es kann auch hilfreich sein, wenn man sich im Vorfeld schon mal mit anderen aspec Personen ausgetauscht hat oder weiß, wo man sich hinterher auffangen lassen kann.
Wie stellt man für sich fest, dass man asexuell ist?
Also ich kann für mich sagen, und das deckt sich auch mit vielen Berichten von anderen, dass es oft ein längerer Prozess ist. Und dass es so ein bisschen nach Ausschlussverfahren läuft. Wenn man zwar keine sexuelle Anziehung empfindet, dafür aber eine romantische oder starke platonische Anziehung, dann kann das zusätzlich für Verwirrung sorgen. Jüngere Personen haben auf jeden Fall den Vorteil, dass man heute in Aufzählungen queerer Orientierungen viel schneller auf den Begriff „asexuell“ stößt. Ich habe mit Anfang 20 zum ersten Mal überhaupt davon gehört. Gerade Plattformen oder Formate, die sich an Jugendliche richten, sind da heute deutlich besser aufgestellt. Ein Anzeichen kann auch sein, dass man statt Sex jetzt eigentlich lieber dieses oder jenes tun würde, klischeehaft zum Beispiel Kuchen essen oder Bügeln.
Definieren sich asexuelle Menschen trotzdem im sexuellen Spektrum, also als hetero-, homo- oder bisexuell?
Je nachdem, welche Formen von Anziehungen sie zu welchen Geschlechtern erleben, verwenden viele Menschen in der Ace-Community mehrere Label, um das zum Ausdruck zu bringen. Häufig wird vor allem zwischen sexueller und romantischer Anziehung unterschieden. Da gibt es dann zum Beispiel Kombinationen wie asexuell bi-romantisch oder asexuell homo-romantisch. Auffällig ist vielleicht, dass neben aspec Labeln vor allem Label verwendet werden, die einen gewissen Spielraum hinsichtlich der Geschlechtsidentität der Partnerperson zulassen.

Asexualität wird medial erst seit kurzem thematisiert, beispielsweise bei „Heartstopper“. Helfen solche Geschichten? Braucht es mehr solcher Stoffe?
Ja und ja! Das hilft auf jeden Fall für die Sichtbarkeit und es braucht definitiv noch mehr davon, vor allem auch, um die Vielfalt asexueller Erfahrungen sichtbar zu machen.
Was würdet ihr euch von der LGBTIQ+-Community wünschen?
Ich würde mir wünschen, dass wir stärker mitgedacht werden. Denn wenn das A nicht explizit auftaucht oder Asexualität mitgenannt wird, dann sind viele Aces immer noch unsicher, ob sie in queeren Spaces willkommen sind. Ob ihnen zum Beispiel bei einer Beratungsstelle geholfen werden kann. Bei vielen Formaten, vor allem Partys, besteht auch eine gewisse Sorge, wie sexualisiert das Setting sein wird. Das ist natürlich bis zu einem gewissen Maße auch unser Problem, aber ich wünsche mir da generell noch mehr Vielfalt in den Angeboten, denn so was betrifft ja auch Minderjährige oder Menschen, die sich aus anderen Gründen damit nicht wohl fühlen. Und ich wünsche mir Solidarität. Bei der vom Queer-Beauftragten gelaunchten Kampagne „Was ist queer?“ in diesem Frühjahr tauchen wir ebenfalls nicht auf, obwohl wir als Verein am Aktionsplan „Queer Leben“ beteiligt waren, es kann also keiner behaupten, uns nicht zu kennen. So was ist immer bitter und passiert eben leider in ganz unterschiedlichen Formen immer wieder.
Welche politischen Forderungen habt ihr?
Asexualität ist eine sexuelle Orientierung, auch wenn sie auf kein Geschlecht gerichtet ist. Es gibt uns genauso lange wie andere queere Identitäten und wir verdienen in gleichem Maße Schutz, auch wenn die Diskriminierung gegen uns sich vielleicht in anderer Weise äußert. Zentrale Punkte sind zum Beispiel die Inklusion des asexuellen Spektrums in allen Bereichen, wo es um queere Themen geht, von Aktionsplänen über Schulaufklärungsprojekte, Lehrpläne oder Weiterbildungsmaßnahmen. Von der Politik wünschen wir uns außerdem eine Form von Familienverträgen oder Verantwortungsgemeinschaften, die es zwei oder mehr Personen ermöglichen, unabhängig von einer romantischen Paarbeziehung Rechte und Pflichten zu übernehmen. Weitere Forderungen hängen mit der Pathologisierung in medizinischen Kontexten zusammen, wo asexuelle Personen bisher allzu oft große Probleme haben, besonders im Bereich psychischer Gesundheit.
Was wird bei Asexualität oft nicht mitgedacht?
Viele, gerade auch innerhalb der queeren Community, denken, dass wir nicht viel mit ihnen oder queeren Kämpfen zu tun haben. Aber wenn sie sich ein bisschen näher mit den Diskussionen beschäftigen, die in der Aspec-Community geführt werden, dann werden sie feststellen, dass es bei uns wahnsinnig viel um alternative Lebensmodelle und Beziehungsformen geht, etwas, das eine lange queere Tradition hat. Es geht uns um selbstbestimmte Sexualität und die Befreiung von heteronormativen Erwartungen, die nicht nur aspec Personen schaden, sondern allen, die nicht ins Raster passen.
Clara, vielen Dank dir fürs Gespräch.
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