Schwule Männer im Alter Und plötzlich ist es da - das Alter! Wie können wir mit dem Thema besser umgehen?
Schwule Männer sind auf das Alter oft nicht gut vorbereitet. Was kann man dagegen tun? SCHWULISSIMO fragte nach bei Diplom-Psychologe Christopher Knoll vom schwul-queeren Beratungsverein Sub in München.
Wie kann Älterwerden bei Schwulen gelingen?
Viele schwule Männer stecken enorm viel Energie in ihren Beruf. Was oft zu kurz kommt, ist die Frage: Was kommt danach? Wenn die Arbeitswelt wegfällt – mitsamt Anerkennung und Struktur – entsteht bei vielen ein Vakuum. Gelungen älter zu werden bedeutet, rechtzeitig damit zu beginnen, die eigenen sozialen Bezüge zu stärken, Interessen jenseits des Berufs zu pflegen und sich auch emotional auf den Übergang vorzubereiten. Ein Aspekt, der häufig übersehen wird, ist der Umgang mit dem Gefühl, gesellschaftlich weniger sichtbar oder „begehrenswert“ zu sein. Gerade in schwulen Kontexten, in denen es sehr um „soziale Attraktivität“ geht, ist das ein Thema, das viele belastet – und über das leider zu selten offen gesprochen wird.
Gibt es grundsätzliche Unterschiede zwischen schwulen und heterosexuellen Senioren?
Ja, und die beginnen schon mit der Lebensbiografie. Viele schwule Männer haben keine Kinder, oft keine klassische Familie im Rücken – das verändert natürlich auch die Perspektive aufs Altern. Wer sich nicht auf familiäre Pflege oder Unterstützung verlassen kann, ist stärker auf Freundschaften oder Wahlfamilien angewiesen. Zudem haben viele ältere schwule Männer Diskriminierung, gesellschaftliche Ablehnung oder sogar Strafverfolgung erlebt. Diese Erfahrungen prägen. Während heterosexuelle Senioren sich meist selbstverständlich in der Gesellschaft verortet fühlen, erleben schwule Senioren öfters das Gefühl, nicht dazuzugehören.

Es gibt rund eine Million homosexueller Senioren in Deutschland, mindestens ein Viertel davon ist armutsgefährdet. Ihre Einschätzung?
Die Armutsgefährdung ist real – und hat konkrete historische Ursachen: Der Paragraf 175 hat Biografien zerstört, Karrieren verhindert und Existenzen erschwert. Viele schwule Männer konnten nie ungestört leben oder frei arbeiten, wie sie wollten. Die öffentliche Wahrnehmung queerer Senioren hinkt hinterher. Zwar gibt es Fortschritte im rechtlichen Bereich, aber das schlägt sich noch zu wenig in konkreten Lebensverbesserungen nieder. Ob es besser oder schlimmer wird, hängt sehr davon ab, ob queere Perspektiven in Pflege, Sozialpolitik und Stadtentwicklung mitgedacht werden – bisher passiert das noch zu selten.
Eine britische Studie zeigte auf, dass schwule Senioren ein aktiveres Sexualleben als heterosexuelle Gleichaltrige. Eine Überraschung?
Sexualität endet nicht mit dem Renteneintritt – im Gegenteil. Viele schwule Männer bleiben sexuell aktiv, oft mit einer sehr entspannten Haltung zu ihrem Körper und ihrer Lust. Gerade ältere schwule Männer haben gelernt, sich nicht (mehr) zu verstecken. Das schafft Freiheit. Trotzdem gibt es auch hier Unsicherheiten: Der eigene Körper verändert sich, die Reaktionen des Umfelds auch. Was ich mir wünsche, ist ein offenerer, lustvoller und weniger normierter Blick auf Sexualität im Alter. Sie ist da – sie verdient Sichtbarkeit und Anerkennung. Eine Leistung der schwul-queeren Community ist sicherlich, jenseits des Jugendkultes Communitys für „Bären“ und „Daddys“ geschaffen zu haben.

Ist es für schwule Senioren leichter oder schwerer, einen neuen Partner kennenzulernen?
Es ist anders. Viele schwule Männer über 50 bringen eine große Klarheit mit: Sie wissen, was sie wollen, sie müssen sich nichts mehr beweisen. Das kann befreiend sein. Gleichzeitig gibt es Hürden – etwa Altersdiskriminierung auf Dating-Apps oder das Gefühl, in einer Szene zu sein, die stark auf Jugend fokussiert ist. Trotzdem erlebe ich viele Männer, die auch im Alter Beziehungen eingehen – romantische, sexuelle oder freundschaftliche. Die Bedürfnisse ändern sich, aber sie verschwinden nicht.
Wie dramatisch ist die Lage in puncto Diskriminierung im Gesundheitswesen?
Diskriminierung im Gesundheitswesen passiert – oft subtil, manchmal ganz direkt. Das beginnt beim unausgesprochenen Zwang, sich zu outen, wenn man zum Beispiel über Partnerschaften spricht, und reicht bis zu tatsächlicher Ablehnung oder Missachtung queerer Lebensrealitäten. Besonders problematisch wird es im Pflegebereich. Viele schwule Männer fürchten, in ein Heim zu kommen, in dem sie ihre Identität wieder verstecken müssen. Queersensible Pflege ist kein Luxus, sondern ein Grundrecht.
In der Politik wird viel versprochen, wirkliche Verbesserungen gibt es selten. Macht das wütend?
Es macht mich nicht wütend, aber ungeduldig. Schönreden bringt nichts, wenn die Realität für viele queere Senior*innen prekär bleibt. Ich wünsche mir, dass queere Perspektiven in der Politik nicht nur mitgedacht, sondern aktiv eingebunden werden: Wohnkonzepte fördern, die Vielfalt berücksichtigen, Pflegeeinrichtungen qualifizieren, Armut bekämpfen. Und vor allem: zuhören. Wenn ältere queere Menschen sichtbar und hörbar sind, kann sich auch gesellschaftlich etwas bewegen.
Was würden Sie einem jüngeren Schwulen mit auf den Weg geben?
Dass Älterwerden nicht automatisch mit einem Verlust an Lebensqualität verbunden ist – ganz im Gegenteil. Wenn man rechtzeitig beginnt, in Beziehungen, innere Entwicklung und persönliche Ressourcen zu investieren, kann das Leben mit 60, 70 oder 80 sehr reich und lebendig sein. Wir brauchen in der Gesellschaft keine Anti-Aging-Rhetorik, sondern eine Haltung, die sagt: Du darfst älter werden. Du darfst dich verändern. Und du darfst sichtbar bleiben.
Vielen Dank für das Gespräch.
Mehr Infos zur Sub-Gruppe „Selbstbestimmt älter werden“ unter subonline.org