Wenn Videospiele queer werden Sexualität und Gaming – wie LGBTIQ+-Gamer für mehr Vielfalt in der Spielewelt sorgen
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In einem Videospiel verlieben sich zwei Männer und gründen eine Familie – doch der Hersteller nennt dies einen „Fehler“. Was 2014 im Nintendo-Spiel Tomodachi Life nur durch einen Bug möglich war, löste einen Aufschrei aus: Offiziell hatten gleichgeschlechtliche Ehen in der bunten Lebenssimulation keinen Platz. Nintendo reagierte prompt mit einem Update, das die unerwartete Männer-Hochzeit wieder unterband. Nach Kritik entschuldigte sich der Konzern zwar und gelobte, künftige Spiele vielfältiger zu gestalten.
Doch dieser Vorfall zeigt exemplarisch, wie lange sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Games tabuisiert oder allenfalls als Kuriosität behandelt wurde. Inzwischen hat in der Branche jedoch ein Umdenken eingesetzt: Von Blockbustern mit queeren Hauptfiguren bis hin zu engagierten Community-Initiativen – Sexualität und Identität sind in der Gaming-Welt so präsent wie noch nie. Im Folgenden blicken wir darauf, wie sich die Spielekultur im Umgang mit LGBTIQ+-Themen wandelt, welche Hürden bestehen und warum die „Gaymer“-Community dabei eine entscheidende Rolle spielt.
Videospiele sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen – und dort sind auch queere Menschen stark vertreten. Ein aktueller Bericht der LGBTIQ-Organisation GLAAD enthüllt, dass rund 17 % der aktiven Gamer sich als LGBTIQ+ identifizieren. Besonders bei jungen Menschen ist der Anteil hoch: Fast ein Drittel der 13- bis 17-Jährigen und etwa ein Viertel der 18- bis 24-Jährigen Spielerinnen und Spieler gehören zur Community. Diese Zahlen markieren einen Anstieg um 70 % seit 2020, als eine frühere Studie lediglich 10 % queere Gamer ergab. Mit anderen Worten: Die Gaming-Welt ist deutlich queerer, als veraltete Klischees vom heterosexuellen „typischen Zocker“ vermuten ließen.
Queere Pixel – frühe Tabus und Klischees
Videospiele der 80er- und 90er-Jahre zeigten LGBTIQ+-Personen zunächst oft in klischeehafter oder lächerlicher Weise. Männliche Figuren in Frauenkleidern traten etwa als skurrile Bösewichte auf, die verhöhnt oder verprügelt wurden. Solche stereotypen Darstellungen sollten wohl humorvoll sein, verdeutlichen aber das damalige Klima: Queerness war im Game-Universum bestenfalls ein Witz, schlimmstenfalls ein Tabu. Dennoch gab es vereinzelt erste queere Lichtblicke in dieser Zeit. So erschien 1988 in Super Mario Bros. 2 erstmals die Figur Birdo – laut Handbuch ein Junge, „der gerne ein Mädchen wäre“. Und 1998 ermöglichte das Rollenspiel Fallout 2 dem Spieler sogar, einen männlichen Charakter einen Mann heiraten zu lassen – ohne negative Konsequenzen für den Spielverlauf. Solche Beispiele blieben jedoch Ausnahmen und gingen oft im Mainstream unter. Häufig waren LGBTIQ-Elemente nur versteckt oder optional vorhanden: Spielerinnen und Spieler mussten selbst entscheiden, ob sie etwa in Die Sims (2000) eine gleichgeschlechtliche Beziehung eingehen lassen – was damals immerhin schon möglich war. Insgesamt galt aber lange die Devise, dass Spiele für ein heterosexuelles Massenpublikum produziert werden. Queere Inhalte wurden entweder ignoriert oder als „Gimmick“ behandelt, um Kontroversen zu vermeiden.
Ein Wendepunkt bahnte sich in den 2000ern an, als einige Entwickler begannen, mehr Handlungsspielraum für Diversität zu schaffen. Pionierarbeit leisteten z.B. die Lebenssimulation Die Sims, in der schon früh sowohl homo- als auch heterosexuelle Beziehungen geführt werden konnten. In westlichen Rollenspielen tauchten nach und nach optionale gleichgeschlechtliche Romanzen auf: Fallout 2 hatte diese Freiheit, Mass Effect 3 erlaubte 2012 als Kommandant Shepard erstmals eine Männer-Liebesgeschichte – was viele Gaymer freute, konservative Fans jedoch mit Review-Bombing quittierten. Auch Japans Spieleindustrie tastete sich voran, oft aber zögerlich: Ein Charakter wie Poison aus Final Fight (1989) wurde z.B. als trans identifiziert, allerdings in westlichen Versionen entfernt, um keine Debatte auszulösen. Insgesamt blieb queere Repräsentation bis in die 2000er spärlich und oft nur als Fußnote vorhanden. Doch die Grundlage für mehr Vielfalt war gelegt – und erste Fans begannen lautstark einzufordern, dass ihre Realität auch in ihren Lieblingsspielen stattfinden darf.
Weiter geht es mit Level 2 in der nächsten Ausgabe.